Als nebenberuflicher Sprengmeister lernt man bei jedem Auftrag dazu. So auch im August 2019 in der Nähe von Hennef. Dort sollte ich auf einer Wiese mehrere Sprengungen durchführen. Mein Problem hierbei: in unmittelbarer Nähe befindet sich ein Kuhstall.
Zur Vorbereitung jeder Sprengung verschaffe ich mir stets einen Blick aus der Vogelperspektive. Sind in der Nähe der Sprengstelle Verkehrswege? Wie weit ist das nächste Wohnaus entfernt? Ein Blick auf Google Maps machte mich bei dieser Anfrage besonders stutzig, weil die Aktion in direkter Nähe eines Milchhofs stattfinden soll. Mein Problem hierbei: Circa 90 Meter von der Sprengstelle entfernt befindet sich ein Kuhstall. „Sind da Kühe drin?“ möchte ich wissen. Antwort: Ja. Das sei aber, so die Aussage, “nicht weiter tragisch”. Folglich brauche ich mir keine Sorgen zu machen.
Ich habe da jedoch so meine Zweifel, befürchtend, die folgende Situation könne eintreten: „Es macht puff, die Kühe fallen um […], dann ist da immer ein großes Hallo und ‚viel Spaß‘.“ Diese Art von Spaß geriert jedoch zum Nachteil des Verantwortlichen gemäß § 20 Sprengstoffgesetz, also dem Sprengberechtigten (im Volksmund Sprengmeister genannt). Und ist teurer als ein Tröpfchen aus der eigenen Sodbrennerei. Daher werfe ich auch vorsorglich einen Blick in die TierSchNutztV. Dahinter verbirgt sich nichts weiter als die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Wem diese Bezeichnung auch noch zu kurz ist, hier nun die ausführliche gesetzliche Bezeichnung: Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung. Uff. Zum Thema Lärm in Bezug auf Tiere ist dort nicht viel zu finden (Hinweis: ich bin kein Rechtsanwalt und das hier Gesagte stellt daher keine Rechtsberatung dar). Außer dass alles, was Lärm macht, auf ein Mindestmaß zu begrenzen ist. Etwas in der Art einer EinsvSpridNvKuhstV (Verordnung zum Einsatz von Sprengstoff in der Nähe von Kuhställen) sucht man vergeblich.
Auch die Erinnerungen an die tragischen Folgen der Einwirkung einer Tannhäuser-Aufführung auf die Tierwelt im Jahr 1994 in Dänemark werden wieder wach. Dort trug es sich nämlich zu, dass bei einer Orchesterprobe im benachbarten Zoo ein Okapi umgefallen sei (Konjunktiv!) am Schock des Krachs (Wagner!) verendete. Brüssel habe deshalb mit einer Lärmschutzverordnung reagiert. Nicht wegen der Tierwelt, sondern um die Musiker vor Lärm zu schützen. Und dies nicht ganz zu Unrecht, denn die Schmerzgrenze liegt bei 120 dB(A). Ein Orchester kann diese überschreiten – wenn auch nur in Spitzen, die das Gehör nicht schädigen.
Die Ansicht, dass Wagner krank machen kann, teilt übrigens auch ein britischer Bratschist. Dieser hat seinen früheren Arbeitgeber, das Londoner Royal-Opera-House, auf umgerechnet rund 850.000 Euro verklagt. Denn der Musiker war dem Lärm einer Wagner-Oper ausgesetzt und erkrankte daran. Das behauptet er zumindest für mich durchaus nachvollziehbar.
Zum Vergleich: Die für jedermann erhältlichen Feuerwerkskörper unterteilen sich verschiedene Kategorieren. Pyrotechnik der Kategorie 1 darf auch von Minderjährigen das ganze Jahr über erworben werden und im Abstand von einem Meter nicht lauter als 120 Dezibel sein. Kategorie 2 umfasst die klassischen Silvesterknaller, die nur vor dem Jahreswechsel erhältlich sind, und auch nur für Erwachsene. Sie dürfen in acht Metern Entfernung maximal 120 Dezibel erreichen. Knallkörper, die diese Bedingungen nicht erfüllen, erhalten von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) keine Zulassung für den deutschen Markt.
Die bei der Sprengung teilnehmenden Mitarbeiter der Aufsichtsbehörden winken jedoch ab. Also kein Problem. Denn schließlich sei ja bereits am Vortag ein Kilo Semtex-Sprengstoff dort gezündet worden. Dabei seien die Kühe im wahrsten Sinne des Wortes standhaft geblieben. Aussagen von Behördenmitarbeitern sind erfahrungsgemäß eher restriktiver Natur.
Daher beginnen wir mit der Vorbereitung: Mit Klebeband motiviere ich ein Viertel Kilo gelatinösen Sprengstoff RIODIN zum Verbleib an einem Kantholz. Die Behördenvertreter informieren derweil die Polizei über die bevorstehende Sprengung.
Erstes Sprengsignal. Dies bedeutet: jeder möge den Sprengbereich verlassen, um mindestens sein Gehör zu schonen. Meine Gewissenbisse aufgrund möglicher Beeinträchtigung der benachbarten Tierwelt lassen sich nicht verheimlichen. Dann das zweite Signal. Spätestens jetzt darf niemand, der nicht lebensmüde ist, den Sprengbereich mehr betreten. Alle Zuschauer tragen Gehörschutz. Ich denke an Brüssel, den Okapi, meine bisherigen qualvollen Stunden in lauten Wagner-Darbietungen und die Kühe. Jedoch stehe ich im ernsten Konflikt mit der nonverbalen durch entsprechende Körperhaltung und Blicke zum Ausdruck vorgetragene Erwartungshaltung der wartenden Teilnehmer. Aus Solidarität mit den Kühen verzichte ich auf Gehörschutz. Nach einigen Sprengungen tritt tatsächlich Gewöhnung ein und man empfindet den Detonationsknall nicht mehr sonderlich laut.
Mit schlechtem Gewissen drehe ich ein paar Mal die Kurbel der Zündmaschine. Dann und drücke ich schweren Gewissens den Auslösetaster. Mit ca. 2 000 Stundenkilometern meldet sich daraufhin der Gesteinssprengstoff lautstark “zu Wort”.
Eine durchgeführte Lärmmessung in drei Metern Höhe bei den Zuschauern offenbarte einen Schalldruck von 141 Dezibel. Zum Vergleich: ein Blasorchester bringt es „nur“ auf 135 dB(A), wird also ca. halb so laut wahrgenommen. Wobei dieser Vergleich nicht ganz richtig ist, denn ein kurzer Knall und längere Wagner-Aufführungen sind psychoakustisch nicht vergleichbar.
Bei der Sprengung dachten die Kühe nicht an Brüssel. Einige Tiere zeigten sich neugierig, andere komplett unbeeindruckt.
Daher fürs Ergebnisprotokoll:
Fazit: Zufriedenheit bei allen Teilnehmern (einschließlich der Kühe).
Eine Antwort
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