Mit der gleichzeitigen Explosion hunderter Pager im Libanon hat die pro-iranische Hisbollah-Miliz am Dienstag, dem 17.09.2024, einen schweren Schlag erlitten. Mindestens 12 Menschen wurden getötet und rund 2.800 verletzt. Kam brisanter Sprengstoff zum Einsatz?

Abbildung eines ausgelösten Sprengzünders auf einer Aluminiumplatte.

Sprengstoff in den Pagern und Funkgeräten der Hisbollah?

Pager für die Hisbollah wurden durch ungarisches Unternehmen gefertigt

Die Funkmeldeempfänger wurden von dem ungarischen Unternehmen BAC Consulting Kft hergestellt, deren Homepage derzeit nicht erreichbar ist. Am Folgetag explodierten im Libanon Handsprechfunkgeräte („Walkie-Talkies“).

Videoaufnahmen lassen Sprengstoff in den Kommunikationsgeräten der Hisbollah vermuten

Videoaufnahmen und das Explosionsbild lassen vermuten, dass Sprengstoff verwendet wurde. Batterien können als Explosionsquelle ausgeschlossen werden. Die Funkmeldeempfänger wurden über ein eigenes Netz betrieben, das die Hisbollah für ihre engsten Mitglieder aufgebaut hatte. Israel hat sich nicht nur in dieses abgeschottete Netz gehackt, wie die Tausenden von zeitgleich verschickten Nachrichten vermuten lassen, mit denen die Detonationen ausgelöst wurden. Denn die Geräte selbst müssten zuvor kompromittiert worden sein.

Das Wall Street Journal berichtete, die Piepser stammten aus einer Lieferung, die die Hisbollah kürzlich erhalten habe. Hunderte Kombattanden seien mit den Geräten ausgestattet worden, zitierte die Zeitung einen namentlich nicht genannten Hisbollah-Vertreter.

Zündung und Verschleierung sind herausfordernd

Wie kann ein solches Vorhaben realisiert werden, ohne dass der eingesetzte Sprengstoff entdeckt wird? Folgende Optionen sind denkbar. Sie stellen lediglich Arbeitshypothesen dar. Ich kann mich also irren.

1) Modifikation der Batterie, d. h. Anreicherung bzw. Kombination dieser mit Sprengstoff

Die in den Kommunikationsgeräten verwendeten Batterien könnten modifiziert, d. h. mit Sprengstoff angereichert worden sein. Die zuverlässige Zündung von brisanten Explosivstoffen stellt dabei die eigentliche Herausforderung dar. Im kommerziellen und militärischen Umfeld werden zu diesem Zweck Sprengzünder verwendet. Diese enthalten weniger als ein Gramm Initialsprengstoff, z. B. in Form eines schlagempfindlichen Metallazids. Ohne einen ausreichenden Impuls durch solche Initialladungen können Sprengstoffe wie Semtex, RDX etc. nicht gezündet werden. Da handelsübliche Sprengzünder im Röntgenbild erkannt würden – gleiches gilt für markierte Sprengstoffe – müsste die Batterie so präpariert worden sein, dass die kombinatorische Verwendung von

– Batteriefunktion zur Energieversorgung des Pagers,

– Zünder,

– Primär- und Sekundärsprengstoff

auch mit Röntgenscannern nicht nachweisbar ist und eine stichprobenhalber durchgeführte Analyse der gelieferten Komponenten durch ein Massenspektrometer nicht erfolgte. Dr. Christoph Neef vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI schließt als Sachkundiger die Nutzung von Lithium-Ionen-Batterien als (alleiniges) Sprengmittel im Libanon aus. Dafür sei die Energie und die Reaktionsgeschwindigkeit nicht ausreichend gewesen. Eine Lithium-Ionen-Batterie kann im Falle eines „Thermischen Durchgehen“ (Thermal-Runaway-Zustand) Reaktionstemperaturen von über 150 °C bis 1000 °C erreichen. Diese Temperatur ist jedoch als Zündmittel für Sprengstoffe ungeeignet und scheidet daher aus, zumal der Sprengstoff in der Nähe der Batterie hätte angebracht werden müssen und als solcher auffällig gewesen wäre. 

Die in den Videos gezeigten Explosionen sind bei der Deflagration einer Batterie untypisch. 

Wenn keine Vermischung des Sprengstoffs mit den Bestandteilen der Batterie stattgefunden hat, könnte eine Segmentierung der Batterie in einen Teil zur Energiebereitstellung und einen anderen Teil zur Aufnahme des Sprengstoffs und der Zünder erfolgt sein. Aber auch diese bauliche Anomalie birgt die Gefahr der Detektion im Röntgenscanner.

2) Einsatz von getarnten Sprengsätzen

Hier eignen sich von der Bauform sogenannte Squibs, auch Mikrodetonatoren oder Bullet Hits genannt. Sie bestehen aus einem integrierten elektrischen Zünder und einem gepressten Primärsprengstoff. Squibs können zur Darstellung von Einschüssen im Rahmen von Spezialeffekten für Film und Fernsehen eingesetzt werden oder in Verbindung mit Hochgeschwindigkeitsaufnahmen eindrucksvolle Effekte explodierender Objekte erzeugen.

Squibs sind in folgenden Formen erhältlich:

a) Zylindrische Squibs. Diese können z. B. zur Simulation von Einschusslöchern in Wänden, Türen etc. verwendet werden.

b) Scheibenförmige Squibs. Diese eignen sich zur Darstellung von Einschusslöchern in der Kleidung von Darstellern und enthalten in der kleinsten Ausführung 0,016 Gramm Sprengstoff.

c) Hochexplosive Squibs zeichnen sich durch eine besonders hohe Sprengkraft aus. Mit ihnen können Explosivstoffe gezündet werden.

Allen Squibs gemeinsam ist die Ähnlichkeit mit Folien- und Elektrolyt-Kondensatoren, wie sie in der Elektronik verwendet werden.

Squibs sind in verschiedenen Abstufungen erhältlich. Die enthaltene Sprengstoffmenge wird in Grain gemessen, wobei die veraltete englische Maßeinheit Grain etwa 0,065 Gramm Nettoexplosivstoffmenge (NEM) entspricht. Handelsübliche zylindrische Squibs sind mit maximal sechs Grain NEM erhältlich, enthalten also ca. 0,39 Gramm Sprengstoff. In den Pagern wurden laut CNN dagegen drei Gramm Sprengstoff verwendet. Diese Sprengstoffmenge halte ich mit den auf den Videos gezeigten Explosionsmustern für valide. Squibs in dieser Größenordnung sind mir allerdings nicht bekannt. 

Natürlich ist es denkbar, Squibs auch mit einer höheren NEM herzustellen und als elektronisches Bauteil auf der Platine des Pagers zu tarnen.

Wenn die Nettoexplosivstoffmenge sich nicht in Form eines elektronischen Bauteils hat einbringen lassen, ist auch die Ausführung der Leiterplatte („Platine“) mit mit unmarkiertem Sprengstoff denkbar. Die hierzu geeigneten Folienexplosivstoffe sind in fast allen Materialstärken erhältlich. Da Israel das Übereinkommen über die Markierung von Sprengstoffen zum Zweck des Aufspürens vom 1. März 1991 ohnehin nie ratifiziert hat, ist die Herstellung entsprechender Bauteile auf Basis von nicht detektierbarer hochenergetischen Materialien durchaus denkbar. Zudem muss das Kommunikationsgerät (Pager, Funkgerät) ohnehin speziell so konzipiert worden sein, dass es mittels eines Aktivierungscodes über die Funkschnittstelle den Zündvorgang auslöst. Der Zünder selbst könnte als elektronisches Bauteil (siehe Squib), z. B. in Form eines Kondensators, getarnt worden sein.

Abbildung eines zylindrischen Squibs auf einem weißen T-Shirt.
Zylindrischer Squib. Der Sprengsatz ist gelb eingefärbt und wird durch Anlegen einer elektrischen Spannung gezündet.

Dosierter Sprengmitteleinsatz

Bei der Bemessung der Sprengstoffmenge dürfte eine Abwägung zwischen der Gefahr der Entdeckung der Sprengladung und dem damit verbundenen Schaden für die Betroffenen eine Rolle gespielt haben. Bereits die Explosion von wenigen Gramm Sprengstoff kann zu schweren Verletzungen führen. Es ist davon auszugehen, dass die Dimensionierung des Sprengsatzes in erster Linie auf eine nachhaltige Verletzung (primär im Genitalbereich durch das Tragen des Pagers in einer vorderen Hosentasche) der Führungsperson der Hisbollah ausgerichtet war und Personen in der Nähe weitgehend verschont blieben.

Mit psychologischer Kriegführung wird die Verletzung des Gegners der Tötung vorgezogen, da die Beeinträchtigung strategische und psychologische Vorteile bietet und dazu beitragen kann, die Gesamtdynamik des aktuellen Konfliktes zu beeinflussen. Denn schwere Verwundungen stellen für den Gegner eine logistische Herausforderung dar, weil verwundete Kräfte medizinische Versorgung, Transport und Pflege benötigen, was erhebliche Ressourcen bindet, die ansonsten für den Konflikt zur Verfügung stünden. „Der Pager-Angriff hat die Hisbollah an empfindlicher Stelle getroffen und ist auch deshalb ein Meisterstück psychologischer Kriegsführung“ sagt Nicole Dreyfus in der Jüdischen Allgemeinen.

Die Minimierung von Kriegsschäden ist das Ziel jeder Nation, insbesondere in aktuellen Konflikten, die von den Medien und sozialen Netzwerken intensiv verfolgt werden. Die öffentlichkeitswirksame Verursachung schwerer Verletzungen ist geeignet, die öffentliche Meinung gegen den aktuellen Konflikt zu wenden. 

Über 9.000 Raketen hat die Hisbollah, die vom Gaza-Krieg gar nicht betroffen ist, seit Oktober auf Israel abgefeuert. Und darauf gewartet, dass Israel ebenso massiv und konventionell reagiert. Was nicht geschah. Weil die Hisbollah bisher eskalierte, aber auf einem Niveau, das sie für beherrschbar hielt.

Selten in der Geschichte wurde eine Terrororganisation durch einen konzertierten chirurgischen Angriff auf Hunderte von Führungskadern dermaßen gedemütigt, der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah und der Iran vorgeführt. Denn ausgerechnet diejenigen, die sich immer ihrer Männlichkeit und Aggressivität rühmten und von Tod und Vernichtung schwadronierten, wurden diesmal direkt und unmittelbar angegriffen. Präziser kann man nicht agieren: Die Häuser der Terroristen stehen noch, und niemand muss nach Verschütteten graben. Wenn die Hisbollah jetzt in den Krieg eintritt, werden ihre Verwundeten in den libanesischen Krankenhäusern wegen Überfüllung kein freies Bett mehr finden. Zudem hat die Terrororganisation ihre wichtigsten militärischen Kommunikationsmittel verloren.

Es gilt daher als Meisterleistung eines agentenähnlichen Thrillers, dass die Hisbollah das Trojanische Pferd nicht entdeckt hat, zumal diese in Sicherheitsfragen als paranoid gilt und die gelieferten Kommunikationsgeräte akribisch auf Sprengstoff überprüft haben dürfte.

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