Bei der Bemessung der Sprengstoffmenge dürfte eine Abwägung zwischen der Gefahr der Entdeckung der Sprengladung und dem damit verbundenen Schaden für die Betroffenen eine Rolle gespielt haben. Bereits die Explosion von wenigen Gramm Sprengstoff kann zu schweren Verletzungen führen. Es ist davon auszugehen, dass die Dimensionierung des Sprengsatzes in erster Linie auf eine nachhaltige Verletzung (primär im Genitalbereich durch das Tragen des Pagers in einer vorderen Hosentasche) der Führungsperson der Hisbollah ausgerichtet war und Personen in der Nähe weitgehend verschont blieben.
Mit psychologischer Kriegführung wird die Verletzung des Gegners der Tötung vorgezogen, da die Beeinträchtigung strategische und psychologische Vorteile bietet und dazu beitragen kann, die Gesamtdynamik des aktuellen Konfliktes zu beeinflussen. Denn schwere Verwundungen stellen für den Gegner eine logistische Herausforderung dar, weil verwundete Kräfte medizinische Versorgung, Transport und Pflege benötigen, was erhebliche Ressourcen bindet, die ansonsten für den Konflikt zur Verfügung stünden. „Der Pager-Angriff hat die Hisbollah an empfindlicher Stelle getroffen und ist auch deshalb ein Meisterstück psychologischer Kriegsführung“ sagt Nicole Dreyfus in der Jüdischen Allgemeinen.
Die Minimierung von Kriegsschäden ist das Ziel jeder Nation, insbesondere in aktuellen Konflikten, die von den Medien und sozialen Netzwerken intensiv verfolgt werden. Die öffentlichkeitswirksame Verursachung schwerer Verletzungen ist geeignet, die öffentliche Meinung gegen den aktuellen Konflikt zu wenden.
Über 9.000 Raketen hat die Hisbollah, die vom Gaza-Krieg gar nicht betroffen ist, seit Oktober auf Israel abgefeuert. Und darauf gewartet, dass Israel ebenso massiv und konventionell reagiert. Was nicht geschah. Weil die Hisbollah bisher eskalierte, aber auf einem Niveau, das sie für beherrschbar hielt.
Selten in der Geschichte wurde eine Terrororganisation durch einen konzertierten chirurgischen Angriff auf Hunderte von Führungskadern dermaßen gedemütigt, der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah und der Iran vorgeführt. Denn ausgerechnet diejenigen, die sich immer ihrer Männlichkeit und Aggressivität rühmten und von Tod und Vernichtung schwadronierten, wurden diesmal direkt und unmittelbar angegriffen. Präziser kann man nicht agieren: Die Häuser der Terroristen stehen noch, und niemand muss nach Verschütteten graben. Wenn die Hisbollah jetzt in den Krieg eintritt, werden ihre Verwundeten in den libanesischen Krankenhäusern wegen Überfüllung kein freies Bett mehr finden. Zudem hat die Terrororganisation ihre wichtigsten militärischen Kommunikationsmittel verloren.
Es gilt daher als Meisterleistung eines agentenähnlichen Thrillers, dass die Hisbollah das Trojanische Pferd nicht entdeckt hat, zumal diese in Sicherheitsfragen als paranoid gilt und die gelieferten Kommunikationsgeräte akribisch auf Sprengstoff überprüft haben dürfte.