Zum Sprengen vorgesehene Gebäude und Orte sind seit Jahren ungenutzt sich selbst überlassen. Diese verlassenen Orte – auch Lost Places genannt – strahlen auf mich eine merkwürdige Ruhe aus. Stets bieten sie Überraschungen; man weiß nie, was einen erwartet. Natürlicher Zerfall und zurückgelassene Gegenstände üben eine Faszination aus, die für mich auch nach dem Moment ihrer Entdeckung fortdauert.
In Lost Places scheint die Zeit eingefroren zu sein. Lärm und Trubel werden allenfalls nur gedämpft wahrgenommen. Dieser Stillstand in einer sonst hektischen Welt kann entschleunigend wirken und erweckt während eines Aufenthaltes das Gefühl, man könne die Zeit anhalten. Wäre da nicht manchmal der Takt Pfützen bildender Wassertropfen, der als einzig noch verbleibender Zeitgeber in der längst bereits aufgegebenen Ruine die Brücke zwischen Stillstand und Gegenwart an diesem Ort herstellt. Verhindert dieser Takt, dass diese unwirtliche Umgebung morbiden Charmes vom Besucher im Zustand seines Innehaltens dauerhaft Besitz ergreift? Welche Emotionen entstehen wohl bei Menschen, die mit diesem Ort früher in Beziehung standen, d. h. dort aufgewachsen sind oder gar jahrelang dort gearbeitet haben? Und jetzt nur einen verlassenden Ort wiederfinden. Und wie fühlen diese Menschen, wenn durch Abriss ihr vielleicht letzter verbleibender Anker in die Vergangenheit durch ihre unwiderrufliche Beseitigung weicht?
Lost Places scheinen der Vergänglichkeit zu trotzen. So finden Veränderungen fast unbemerkt statt. Die Natur erobert sich ihr Terrain langsam zurück. Moos breitet sich aus und Bäume wachsen durch Fenster ohne Glas.
Diese Zeichen langsamen Verfalls offenbaren die scheinbare Hilflosigkeit dieser Lost Places, die längst allen Anspruch auf Zukunft aufgegeben zu haben scheinen. Bedrückende Stimmung und Friedlichkeit sind an diesen Orten vereint. Die vorherige Nutzung, Verwitterung und – für mich absolut unverständlich – blinde Zerstörungswut haben im Laufe der Zeit Narben hinterlassen. Aber trotz all diesem scheinen Lost Places ihren Charakter zu bewahren und damit an ihrer Ehrwürdigkeit und Ewigkeit festzuhalten zu wollen. Gerade deshalb finde ich diese Orte auf diese Weise schön und inspirierend.
Jeder Lost Place hat eine andere Ausstrahlung und ist auf jeweils auf eine andere Art verwunschen. Eines scheinen haben alle Lost Places gemeinsam zu haben: Stets wird durch sie die eigene Vergänglichkeit angesichts des längst aufgegebenen Kampfes des Stillstandes über das vor langer Zeit dort stattgefunden habende Leben, welches jetzt nur noch in der Vorstellungskraft seiner Besucher existiert, fortwährend versinnbildlicht. Dies kann berühren.
Aber, das Gefühl von zurückgebliebenem Schönen in Erinnerung bewahrend, auch Anregungen und Kraft für Neues geben.
Die Vorliebe für Lost Places kann selbst so weit gehen, dass man verfallene Orte künstlerisch gestaltet und sogar musikalisch die Verbindung zwischen Ästhetik und Verfall herstellt. Solches hat der australische Street-Art-Künstler RONE in seinem Video getan: