Zur Sprengung der Stahlgitterkonstruktion von Sendemast und Reflektor des ehemaligen Mittelwellensenders des Saarländischen Rundfunks in Heusweiler war lediglich ein halbes Kilogramm Explosivstoff notwendig. Mittels Schneidladung konnte auch diese Stahlsprengung wirtschaftlich, sicher und schnell durchgeführt werden.
Am Freitag, dem 21.09.18, erfolgte der Abriss der beiden 120 Meter hohen Sendemasten sowie eines 50-Meter-Mast der ehemaligen Europawelle Saar durch Sprengung. Damit endet ein Stück Rundfunkgeschichte. Eine ehemals weithin sichtbare Landmarke, die das Wahrzeichen des Ortes Heusweiler prägte, ist verschwunden. Dieser Blog-Beitrag befasst sich mit der Vorbereitung und Durchführung der Sprengung der Antennen. Jedoch möchte ich auch meine Eindrücke von zwei erlebnisreichen Tagen der Sprengung beim Saarländischen Rundfunk (SR) schildern.
Ulrich Michels sieht man die Schwermut hinsichtlich der bevorstehenden Sprengung der Sendemasten unweit seines Büros beim Saarländischen Rundfunk an. Über 30 Jahre war der dienstälteste Rundfunktechniker mit seinen Kollegen am Standort Heusweiler für den Betrieb von Deutschlands stärkstem Mittelwellensender zuständig. Unzählige Male sind sie jeden 120 Meter hohen Stahlgittermast hinaufgestiegen, haben dort Teile erneuert oder repariert. Michels kennt den Sender folglich in- und auswendig – die Rundfunktechnik ist für ihn ein Stück Lebensgeschichte.
Stundenlang könnte ich ihm gebannt zuhören, wie er euphorisch und kompetent den Senderbetrieb und technische Zusammenhänge erklärt und in Erinnerungen schwelgt. Auf jede meiner Frage hat Michels stets eine kompetente Antwort. Leider konnte ich aufgrund der Informationsfülle mir nicht alles merken und hier wiedergeben.
Michels erklärt, dass das über die angrenzende Autobahn A8 verlaufende Drahtnetz (in Deutschland einmalig) erstens als sogenannter Faraday’scher Käfig dafür sorgen sollte, dass die Bordelektronik von Fahrzeugen nicht beeinträchtigt wird. Zweitens wurde damit auch das Erdnetz des Senders beim nachträglichen Bau der angrenzenten Autobahn erweitert. Denn rund um die Antennen des Mittelwellesenders sind in 80 cm Tiefe Kupferkabel vergraben.
Viel Technik war im und um den Sender verbaut. Beispielsweise überwachten Sensoren das Gelände der Stahlgittermasten, so dass selbst die Betätigung eines Feuerzeugs innerhalb der umzäunten Wiese sofort erkannt wurde. Dies führte zum sofortigen Abschalten des Senders. Bei Schweißarbeiten sei dies einmal passiert. Man sieht Michels an, wie er seinen Job liebt. Er sagt, die Arbeit habe ihn bereichert.
Seitdem die ARD im Jahr 2015 aufgrund hoher Betriebskosten der Mittelwelle nach und nach alle Mittelwellensender abschaltet, ist nun bereits vieles an Rundfunktechnik abgebaut worden. Für Michels und seine Kollegen muss das ein Sterben auf Raten gewesen sein: „Es ist schon ein wenig schizophren, auf etwas hinzuarbeiten, was man so gar nicht möchte. Aber ich kenne auch die ökonomischen Zwänge, die hinten dranstehen”, sagt er.
Rückblick: Am 19. Juni 1946 begann in Heusweiler nach Zerstörung im Krieg wieder der Rundfunkbetrieb. Mit einer Leistung von 1200 kW war die Anlage der leistungsfähigste Mittelwellensender in Deutschland. Von 1973 bis 1994 diente er zur Verbreitung des Programms der Europawelle des Saarländischen Rundfunks, welche ein Millionenpublikum auch in der DDR erreichte. Das Konzept stellte übrigens ein Novum in der bundesdeutschen Radiolandschaft der 1960er Jahre dar: Mit damals populären Moderatoren wie Manfred Sexauer und Dieter Thomas Heck bildete die Europawelle die Blaupause vieler heutiger Radiokonzepte. Bis 2015 wurde über den Sender zuletzt dann noch das Programm des Deutschlandfunks verbreitet. Ein sehenswerter Bericht über die Europawelle findet sich hier.
Im Auftrag von Michael Schneider, dem verantwortlichen Sprengberechtigten der für die Sprengung beauftragten Firma Liesegang bereite ich am Vortag die Schneidladungen zur Trennung der Halterungen der Pardunen vor. Dies sind Abspannseile für freistehende Masten und Stahlgitterkonstruktionen. Sie finden immer dann Verwendung, wenn entweder die Festigkeit des Mastes nicht dazu ausreicht, die auftretenden Windlasten zu tragen, oder eine Fundamentierung des Mastes selbst nicht möglich ist, weil dieser zum Erdboden isoliert ist.
Meist werden Pardunen, so auch für den Sendemast und dessen Reflektor des Mittelwellensenders Heusweiler, in drei Richtungen gespannt. Mit Blick von oben sind die Abspannseile um 120 Grad gegeneinander versetzt. Je nach Masthöhe müssen Pardunen oft in mehreren Höhen installiert werden, um ein seitliches Durchbiegen des Mastes im Wind zu begrenzen. Auch in Heusweiler erfolgte dies in drei Ebenen, zumal die Stahlmasten auch noch im oberen Drittel isoliert waren.
Am Boden sind die Abspannseile dann mit massiven Betonfundamenten verankert.
Und genau dort setzt das Sprengkonzept an, die Halteseile zu trennen. An den Sendemast selbst wird kein Sprengstoff angebracht.
Auch angesichts des hohen medialen Interesses möchte Michael, der seit über 35 Jahren als Sprengberechtigter (im Volksmund Sprengmeister genannt) bereits unzählige Gebäude niedergelegt hat und zu den alten Hasen zählt, kein Risiko eingehen. Deshalb entscheidet er sich, aus Redundanzgründen die Halterungen von drei der neun Abspannseile jedes Turms jeweils gleichzeitig doppelt zu durchtrennen. Danach werden die unangetasteten verbleibenden zwei mal drei Pardunen die Masten dann in die entgegengesetzte Richtung ziehen. Dies erfolgt von alleine. In Abhängigkeit der Architektur des Stahlgittermast kann es erforderlich sein, Ballast an die unangetasteten Trageseile anzubringen.
Vor der Sprengung wurden noch vorbereitende Maßnahmen getroffen. Dementsprechend wurde z. B. alles, was die Fallrichtung der Masten beeinflussen konnte, getrennt. Auch die Überdachungen der Isolatoren (die Masten standen buchstäblich zwecks Isolation gegen Erde auf tönernem Fuß) wurden teilweise demontiert.
Zur Sprengung der drei Stahlgittermasten wurde die Schneidladung Semtex Razor eingesetzt. Diese enthält als Sprengstoff ein Gemisch aus RDX und PETN. Mit dieser flexiblen Schneidladung lassen sich Stahlteile je nach Sprengstoff-Dimensionierung bis 75 Millimeter Stärke bei einer Geschwindigkeit von ca. 7.900 Metern pro Sekunde durchtrennen. Legt man die Schneidladung beidseitig an, lässt sich sogar ca. 150 Millimeter starker Stahl schnell und sicher durchtrennen.
Die Schneidladungen wurden mit einem sogenannten Booster versehen. Dieser besteht aus Semtex-Sprengstoff und dient als Verstärkerladung zur sicheren Zündung der Schneidladung. Die Booster verfügen über eine Bohrung zur Aufnahme des Sprengzünders. Wir verwenden für jede Schneidladung kurze Stücke Sprengschnur, an die jeweils ein Zündverstärker angewürgt wird.
Das Anwürgen der Sprengschnur in den Zündverstärker kostet mich jedes Mal erneut Überwindung, weil immer die Angst mitschwingt, den empfindlichen Initialsprengstoff des Zündverstärkers dabei auszulösen und damit auch die Sprengschnur zur Explosion zu bringen. Die Folgen eines solchen Zwischenfalls dürften mindestens Kopfschmerzen und einen Tag schlechte Laune sein.
Die Sprengschnüre mit Zündverstärker werden dann bündelweise mit einem elektrischen Sprengzünder versehen. Durch diese Zündmethode wird sichergestellt, dass alle Schneidladungen eines Bündels gleichzeitig detonieren. Eine zeitversetzte Zündung muss vermieden werden, um zu verhindern, dass eine bereits detonierende Sprengladung noch nicht gezündete Ladungen beschädigt und somit Teile der zu sprengenden Stahlkonstruktion durch nicht ausgelöste Schneidladungen stehen bleiben. Gemäß Verkaufsprospekt des Herstellers sollte jeder seiner Sprengmomentzünder zum selben Zeitpunkt auslösen. Aber erfahrungsgemäß gibt es hier Abweichungen im Bereich von bis zu zwei Millisekunden. Diese sind geeignet, gerade bei angelegten Sprengladungen unerwünschte Ergebnisse zu erzielen.
Während die Sprengung selbst im Sekundenbruchteil stattfindt, gestaltet sich die Organisation eines sprengtechnischen Abbruchs aufwändig. Schließlich müssen zahlreiche Abstimmungen mit Behörden und Anwohnen geführt werden und Absperrposten so positioniert werden, dass kein Zuschauer unbemerkt zur Sprengstelle gelangt. Dementsprechend stellten rund 100 Einsatzkräfte von Feuerwehr, THW und Polizei sicher, dass bereits eine Stunde vor der Sprengung sich keine unbefugten Personen im Absperrbereich um die drei Antennen mehr befanden.
Bei der Einweisung der Absperrposten am Abend zuvor zückten viele meiner Kollegen vom Technischen Hilfswerk (für das THW Karlsruhe war ich neben meinem regulären Beruf bis zu meinem Austritt im Januar 2024 ehrenamtlich für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig) ihr Mobiltelefon und fingen die Silhouette der Sendemasten in der Abendsonne ein. Dies erschien mir so, als würden sie die Antennen zum ersten Mal entdecken. Auf meine erstaunte Frage, dass doch alle Kollegen aus der Nähe kommen und jeden Stahlgittermast doch damit eigentlich bereits viele Male bildlich festgehalten haben müssten: „Die Masten waren für uns immer nur irgendwie da. Sie sind gewohntes Bild unseres Ortes. Aber zum ersten Mal nehmen wir sie angesichts ihres bevorstehenden Abbruchs jedoch erst heute bewusst wahr.“
Obwohl der Sender manche Anwohner in seiner direkten Nachbarschaft nervte, weil er das Radioprogramm selbst aus Topfdeckeln, Regenrinnen und Telefonhörer erschallen ließ, so gehörte er doch zum Bild des Ortes. Und vielleicht ist es das, dessen man bewusst ist, bald zu verlieren, auf einmal besonders geschätzt?
Der Abriss eines schönen oder prägenden Bauwerks wird oft bedauert:
„Wenn ich mich mit einem Ort identifiziere, ihn als mein Quartier sehe, dann wird die Bindung noch stärker – weil im Falle eines Abrisses ein identitätsstärkender Faktor der eigenen Persönlichkeit verloren geht“
Harald Deinsberger-Deinsweger, Architekturpsychologe
Das heißt: Ein Stadtbild bedeutet Identität, und wenn Teile davon gesprengt werden, kann das Trauer und ein Gefühl von Kontrollverlust auslösen.
Es sind diese Eindrückte und Geschichten von Menschen, wie auch die der Mitarbeiter Michels und seinen Kollegen, die bei jeder Sprengung verbunden sind. Zusammen mit dem Gewinn neuer Erfahrungen bei jedem Auftrag bereichern sie aufgrund ihrer Einzigartigkeit und Neuem mich im (Neben-)Beruf als Sprengberechtigten immer wieder.
Überrascht hat mich zudem die sehr familiäre Gemeinschaft der Mitarbeiter des Saarländischen Rundfunks am Senderstandort Heusweiler. Zahlreiche Fotos, welche auch verstorbener Kollegen gedenken, vermittelten dort in den Büros und Aufenthaltsräumen eine Art Wohnzimmeratmosphäre einer Gemeinschaft, die familiär verbunden war, aber keine Zukunftsaussicht hat.
21.9.2018, 18:00: Auf einmal ist es sehr ruhig. Grund ist die Sperrung der angrenzenden Autobahn A8, welche die Zeit zuvor ein stetiges gewohntes Grundrauschen erzeugte. Meine Anspannung 1,5 Stunden vor der Zündung steigt von Minute zu Minute (dies ginge anderen Sprengberechtigten trotz vieler Jahre Erfahrung wohl auch so).
18:30 Uhr – noch eine Stunde bis zur Zündung. Ich hasse Zündleitungen, bei denen die beiden Kabel nicht zum Doppelsteg verbunden sind und schaffe es tatsächlich bereits nach zehn Metern etwas Chaos in den Ablauf zu bringen, weil ich eine auftretende Verdrillung der Kabel auf der Rolle durch Abwurf eine der beiden Leitungen von der Trommel zu lösen versuche. Eine schlechte Idee, wie sich zeigt, weil sich die Verknotung beim Leitungsabrollen immer wieder in Zehn-Meter-Intervallen fortsetzt und dort eine Zwangspause bewirkt. Ein Mitarbeiter des Landratsamtes unterstützt dankenswerterweise beim Entheddern und die Zündstelle kann noch rechtzeitig eingerichtet werden.
Fürs Holen der GoPro reicht die Zeit jedoch nicht mehr. Michael verabschiedet sich zur weiteren Koordination und überlässt Nico, einem Kollegen und mir die Zündstelle. Die in Reihe geschalteten elektrischen Sprengzünder der beiden 120-Meter-Türme werden auf einen Zündkreis gelegt, die des 50-Meter-Mastes gegenüber der A8 bilden einen eigenen Zündkreis. Grund für die Trennung: Der 50-Meter-Mast soll eine Minute später fallen, damit das Fernsehen noch Zeit zum Umschwenken hat, wobei wir dann doch etwas schneller waren 🙂
Laut Angaben des Saarländischen Rundfunks hat die Sprengung der Antennen eine Allzeit-Rekord-Einschaltquote beschert: Rund 200.000 Zuschauer verfolgten im SR-Fernsehen und den sozialen Medien die Sprengung. Rund um den Absperrbereich hatten sich schon Stunden zuvor tausende Zuschauer versammelt. Nochmals messe ich den Widerstand des Zündkreises: 160 Ohm, konstant bleibend und somit ein gutes Zeichen. Schwankt die Anzeige, befindet sich in der Regel ein Fehler in der Zündanlage und man darf auf die Suche geben. Das kostet unnötig Zeit und erhöht den Stress-Level.
Obwohl eigentlich nichts mehr schief gehen kann, steigt meine Anspannung dennoch von Minute zu Minute.
19:30 Uhr: Ein langer Ton – Nico gibt das erste Sprengsignal. „Personenfreiheit sichergestellt?“ vergewissere ich mich über Funk. „Selbstverständlich!“ antwortet Michael. Nun läuft alles Schlag auf Schlag. Zwei kurze Töne: Mittels Kompressor wird das zweite Signal, welches an der Zündstelle lauter als die eigentliche Sprengung zu sein scheint, gegeben. Durch einige Male Kurbeln lade ich beide Zündmaschinen. Drei Minuten warten. Die Anspannung steigt.
19:33 Uhr: Michael zählt über Funk die letzten Sekunden herunter: „Sprengung in 3, 2, 1“ – dann betätige ich den Auslöser. Die im Kondensator der Zündmaschine gespeicherte Energie entlädt sich damit und löst die vier elektrischen Sprengzünder aus, welche 24 über Sprengschnur verbundene Schneidladungen der beiden 120-Meter-Masten zünden. Die Schneidladungen durchtrennen rechnerisch innerhalb von nur 15 Millionstel Sekunden die Pardunen-Halterung. Der Detonationsknall von rund einem halben Kilo Sprengstoff erreicht unsere Zündstelle nach einer Sekunde. Da haben die beiden Funkmasten bereits begonnen, sich zu neigen. Erwartungsgemäß brechen sie im oberen Drittel auseinander.
Etwa eine Minute später zählt Michael dann auch die letzten Lebenssekunden des 50-Meter-Mast herunter, welcher als Reserveantenne z. B. dann zum Einsatz kam, wenn die 120-Meter-Stahlgittermasten gewartet wurden.
Für Eilige: Ab Minute 5:40 ist die Sprengung zu sehen:
Mit dem Auslösen der Zündmaschine ist meine Anspannung plötzlich verschwunden und ich fühle nur noch Leere in mir. Wie in einer Art Trance-Zustand nehme ich nur schemenhaft wahr, wie circa hundert Tonnen Stahl auf der Wiese neun Sekunden nach Auslösung der Zündmaschine wie geplant aufschlagen.
Damit sind über 80 Jahre Mittelwellenrundfunk des Saarländischen Rundfunks in Heusweiler endgültig Geschichte und ich fühle mich für das abrupte Ende irgendwie mitschuldig.
Erst auf der Heimfahrt bin ich in der Lage, die Geschehnisse und Erlebnisse der letzten beiden Tage zu reflektieren. Zufriedenheit stellt sich ein und freue ich mich auf den nächsten Auftrag.
Sprechen Sie mich an, wenn Sie Unterstützung bei sprengtechnischen Vorhaben benötigen. Sei es bei der Planung, Vorbereitung und Durchführung, Erstellung von Gutachten oder nur zur Dokumentation der Sprengung. Eine sprengstoffrechtliche Erlaubnis nach § 7 SprengG und Befähigung nach § 20 SprengG sind vorhanden.
3 Antworten
Technisch sehr spannend, daß so “wenig” Sprengstoff reicht. Vielen Dank für den schönen Bericht und die vielen guten Bilder. Trotzdem leider meiner Einschätzung nach einer der größten politischen Fehler der letzten Jahre, die MW- und KW-Sender abzureißen.
Vielen Dank für die Rückmeldung. Und ja, traurig, dass diese Anlage der Nachwelt nicht erhalten bleibt, wurde sie über viele Jahrzehnte mit Herzblut betrieben und gewartet.
Das sind phantastische Fotos von der Sprengung der Heusweiler Sendemasten! Auf meiner Website http://www.saar-nostalgie.de finden Interessierte eine ausführliche Beschreibung der Heusweiler Sendeanlage im Kapitel RADIO.TV unter MW-Sender Heusweiler.